Vorhölle Jaipur
Halsschmerzen. Brennende Halsschmerzen. Ich hab das Gefühl, dass ich nichts mehr sagen kann. Sprachlos. Das Telefon klingelt. Ich hebe den Hörer ab und nuschle so etwas wie O.k. hinein. Es war der Wake-Up Call, der mich nun endgültig geweckt hat. Seit der Muezzin um 4:30 Uhr gerufen hat und die Hunde draußen anfingen dazu zu heulen, habe ich nur noch sporadisch geschlafen. Aus dem Bad dringt Licht. Es kommt aus dem Nachbarzimmer, dass mit meinem über einen Lüftungsschacht verbunden ist. Ich hör Stimmen, Wasserlassen und schließlich die Toilettenspülung. Ich mache das Licht an und schaue auf die kahlen Wände und den Deckenventilator. Auf dem metallenen Kasten der Klimaanlage setzt das scharren von Taubenfüssen ein die unablässig einher schreiten. Ich versuche aus dem Traum aufzuwachen. Leonardo Dicaprio würde etwas von Inception erzählen, Edgar Allen Poe etwas von einem Traum in einem Traum. Ich wache aber nicht auf. Das alles hier, der Raum mit dem kleinen Fenster, dem dicken dunklen Vorhang, davor die Klimaanlage, die mit offenen Drähten an die Steckdose angeschlossen ist, das alles ist Realität. Das Brennen im Hals wird stärker. Ich wühle in meiner Tasche und entdecke noch einen Blister mit Paracetamol. Ich drücke eine der zwei verbliebenen Tabletten her-aus und spüle sie mit etwas Wasser herunter. Bis zum Frühstück ist noch Zeit. Ich lasse die Tablette ihre Wirkung entfalten und denke über den gestrigen Tag nach. War es wirklich eine gute Idee die Reise zu machen? Musste ich mir das geben?
Aber der Reihe nach: Als wir hier in Jaipur ankommen passiert wieder et-was, was so typisch ist für dieses Land. Wir fahren mit dem Bus durch ein Viertel, dass man vielleicht zu Hause als Industriegebiet oder heruntergekommenes Wohngebiet bezeichnen würde. Jedenfalls nicht gerade als ein Viertel in dem man gerne wohnen würde. „Da vorne ist unser Hotel!“ Ich kann es nicht glauben, dass wir hier wohnen sollen. Ich steige aus und wate ein paar Meter über den san-digen Boden durch eine Mauernische hin-durch. Wie durch Zauberhand stehe ich nun auf einem gepflegten Rasen im Innenhof eines Haveli, so nennt man die alten Kaufmannshäuser. Livrierte Hoteldiener servieren einen Welcome-Drink und heiße Tücher. Die Schlüssel werden verteilt und ich finde mein Zimmer direkt oberhalb eines kleinen Pools. Das Zimmer selbst ist dunkel. Fenster scheinen in Indien nicht im Trend zu liegen. Ich mache das Licht an. Die Betten sind bequem und das Zimmer ist sauber. Ich schlafe ein paar Stunden. Als ich aufwache ist es bereits dunkel. Zeit für das Abendessen. Wir essen alle zusammen im Restaurant des Hotels. Ich erkundige mich nebenbei, ob es hier irgendwo ein Internetcafe gibt, damit ich ein Lebenszeichen von mir nach Hause schicken kann. „Wir haben heute Mittag eins gesehen, irgendwo die Straße hoch in Richtung der roten Stadt.“ Ich ärgere mich ein wenig, dass ich den Nachmittag verschlafen habe statt bei Tageslicht hinaus zu gehen. Aber das ist jetzt nicht zu ändern. Mein Hals fängt langsam an weh zu tun. Die Klimaanlagen der Flughäfen und die nicht auskurierte Erkältung verrichten ihr Werk.
Ich gehe hinaus. Ich traue mich. Überall auf der Welt kommunizieren die Menschen via Internet in Internetcafés. Es kann also nicht so schwer sein hier eines aufzutreiben. Ich stehe auf der Straße und versuche mich zu orientieren. Jenseits der Straßenlampe unter der ich stehe breitet sich Dunkelheit aus. Ich suche mir eine Richtung aus uns laufe los. Licht gibt es nur von den Autos die hupend vorbeifahren. Und von den Geschäften auf der anderen Straßenseite, also von den nun beleuchteten Garagen (ich erwähnte ja schon den für Europäer etwas seltsam pragmatischen Baustil), die gefüllt sind mit allen möglichen Dingen die man kaufen kann. Aber das sehe im Moment nicht. Um mich herum wuseln dunkle Menschen deren Konturen ich kaum ausmachen kann. Ab und zu blitzt das Weiß der Augen oder der Zähne hervor. Ich sehe nicht auf was ich am Boden so alles trete. Und seit Indianer Jones im Tempel des Todes war, hab ich natürlich so eine Ahnung was das alles sein könnte. Unbeleuchtete Rikschafahrer, Motorradfahrer und Tuc-Tucs weichen mir aus, ich weich ihnen aus. Hinein in eine Menge von Menschen. Panik macht sich bei mir breit. Ich drehe um und versuche zum Hotel zurück zukehren. So schlimm kann es nicht sein. Ich bin ja immer geradeaus gegangen. Ich brauche nur zurück zu gehen. Wieder ausweichen vor Dingen die ich nur schemenhaft erkennen kann. Und über allem liegt dieser eigenartige Geruch. Ich glaube der macht mich am meisten fertig. Eine Mischung aus Autoabgasen, verbranntem Holz und Plastik. Und? Und Räucherstäbchen! Das ist der Moment in dem mir das Wort Vorhölle durch den Kopf schießt. Die Vorhölle so sieht sie aus. Alles um einen herum ist fremd und sieht anders aus. Man spricht die Sprache nicht. Man versteht keinen. Man wird nicht verstanden. Und vor allem findet man das Hotel nicht mehr. Verdammt so weit bin ich doch gar nicht gelaufen. Es muss hier irgendwo sein. Irgendwo zwischen den Mauernischen. Es kann gar nicht weg sein. Auf gerader Strecke kann man sich nicht verlaufen. Ich sehe den Bus. Den guten Tata-Bus mit den Blattfedern und den Sitzlehnen die auf den holprigen Straßen immer nach hinten klappen. Und da ist auch die Mauernische. Der Eintritt ins Paradies.
Ich beschließe es heute Abend bei einer SMS zu belassen. Handys funktionieren hier problemlos. Ich muss nicht nachts irgendwo herumlaufen. Ich gehe auf mein Zimmer und schreibe die SMS, die sehr nach Heimweh klingt und versuche zu schlafen. Verdammtes Halsweh. Beim Frühstück ist die Welt dann wieder fast in Ordnung. Das Schmerzmittel tut seine Wirkung und ich bekomme den Tip keine kalten Getränke mehr zu trinken. Viel später, fast am Ende der Reise bekomme ich dann auch noch die Einsicht, dass ich als fast zwei Meter großer Weißer, der sich grimmig an seiner Kamera festhaltend, seinen Weg durch das Chaos bahnt, ein ebenso beunruhigendes Bild für die Inder abgegeben haben muss, die schließlich nur ihrem normalen Tagwerk nachgingen. Ich muss lachen.
(Originaltext von 2010)
Aber der Reihe nach: Als wir hier in Jaipur ankommen passiert wieder et-was, was so typisch ist für dieses Land. Wir fahren mit dem Bus durch ein Viertel, dass man vielleicht zu Hause als Industriegebiet oder heruntergekommenes Wohngebiet bezeichnen würde. Jedenfalls nicht gerade als ein Viertel in dem man gerne wohnen würde. „Da vorne ist unser Hotel!“ Ich kann es nicht glauben, dass wir hier wohnen sollen. Ich steige aus und wate ein paar Meter über den san-digen Boden durch eine Mauernische hin-durch. Wie durch Zauberhand stehe ich nun auf einem gepflegten Rasen im Innenhof eines Haveli, so nennt man die alten Kaufmannshäuser. Livrierte Hoteldiener servieren einen Welcome-Drink und heiße Tücher. Die Schlüssel werden verteilt und ich finde mein Zimmer direkt oberhalb eines kleinen Pools. Das Zimmer selbst ist dunkel. Fenster scheinen in Indien nicht im Trend zu liegen. Ich mache das Licht an. Die Betten sind bequem und das Zimmer ist sauber. Ich schlafe ein paar Stunden. Als ich aufwache ist es bereits dunkel. Zeit für das Abendessen. Wir essen alle zusammen im Restaurant des Hotels. Ich erkundige mich nebenbei, ob es hier irgendwo ein Internetcafe gibt, damit ich ein Lebenszeichen von mir nach Hause schicken kann. „Wir haben heute Mittag eins gesehen, irgendwo die Straße hoch in Richtung der roten Stadt.“ Ich ärgere mich ein wenig, dass ich den Nachmittag verschlafen habe statt bei Tageslicht hinaus zu gehen. Aber das ist jetzt nicht zu ändern. Mein Hals fängt langsam an weh zu tun. Die Klimaanlagen der Flughäfen und die nicht auskurierte Erkältung verrichten ihr Werk.
Ich gehe hinaus. Ich traue mich. Überall auf der Welt kommunizieren die Menschen via Internet in Internetcafés. Es kann also nicht so schwer sein hier eines aufzutreiben. Ich stehe auf der Straße und versuche mich zu orientieren. Jenseits der Straßenlampe unter der ich stehe breitet sich Dunkelheit aus. Ich suche mir eine Richtung aus uns laufe los. Licht gibt es nur von den Autos die hupend vorbeifahren. Und von den Geschäften auf der anderen Straßenseite, also von den nun beleuchteten Garagen (ich erwähnte ja schon den für Europäer etwas seltsam pragmatischen Baustil), die gefüllt sind mit allen möglichen Dingen die man kaufen kann. Aber das sehe im Moment nicht. Um mich herum wuseln dunkle Menschen deren Konturen ich kaum ausmachen kann. Ab und zu blitzt das Weiß der Augen oder der Zähne hervor. Ich sehe nicht auf was ich am Boden so alles trete. Und seit Indianer Jones im Tempel des Todes war, hab ich natürlich so eine Ahnung was das alles sein könnte. Unbeleuchtete Rikschafahrer, Motorradfahrer und Tuc-Tucs weichen mir aus, ich weich ihnen aus. Hinein in eine Menge von Menschen. Panik macht sich bei mir breit. Ich drehe um und versuche zum Hotel zurück zukehren. So schlimm kann es nicht sein. Ich bin ja immer geradeaus gegangen. Ich brauche nur zurück zu gehen. Wieder ausweichen vor Dingen die ich nur schemenhaft erkennen kann. Und über allem liegt dieser eigenartige Geruch. Ich glaube der macht mich am meisten fertig. Eine Mischung aus Autoabgasen, verbranntem Holz und Plastik. Und? Und Räucherstäbchen! Das ist der Moment in dem mir das Wort Vorhölle durch den Kopf schießt. Die Vorhölle so sieht sie aus. Alles um einen herum ist fremd und sieht anders aus. Man spricht die Sprache nicht. Man versteht keinen. Man wird nicht verstanden. Und vor allem findet man das Hotel nicht mehr. Verdammt so weit bin ich doch gar nicht gelaufen. Es muss hier irgendwo sein. Irgendwo zwischen den Mauernischen. Es kann gar nicht weg sein. Auf gerader Strecke kann man sich nicht verlaufen. Ich sehe den Bus. Den guten Tata-Bus mit den Blattfedern und den Sitzlehnen die auf den holprigen Straßen immer nach hinten klappen. Und da ist auch die Mauernische. Der Eintritt ins Paradies.
Ich beschließe es heute Abend bei einer SMS zu belassen. Handys funktionieren hier problemlos. Ich muss nicht nachts irgendwo herumlaufen. Ich gehe auf mein Zimmer und schreibe die SMS, die sehr nach Heimweh klingt und versuche zu schlafen. Verdammtes Halsweh. Beim Frühstück ist die Welt dann wieder fast in Ordnung. Das Schmerzmittel tut seine Wirkung und ich bekomme den Tip keine kalten Getränke mehr zu trinken. Viel später, fast am Ende der Reise bekomme ich dann auch noch die Einsicht, dass ich als fast zwei Meter großer Weißer, der sich grimmig an seiner Kamera festhaltend, seinen Weg durch das Chaos bahnt, ein ebenso beunruhigendes Bild für die Inder abgegeben haben muss, die schließlich nur ihrem normalen Tagwerk nachgingen. Ich muss lachen.
(Originaltext von 2010)