So-froehlich photography

Discover the world

Downtown

Hurghada DowtownDas Leben pulsiert in der Altstadt trotz der Hitze
Es ist 10 Uhr als ich beschließe die Altstadt von Hurghada zu besuchen. Ich komme mir ein bisschen vor als wäre ich allein auf einem anderen Planeten gestrandet. Ich spreche die hiesige Sprache nicht und Hinweisschilder gibt es auch nicht. Ich bin allein. Indien zählt da nicht. Da war ich nie alleine unterwegs und hatte immer jemanden zum Händchenhalten beim umherstreifen. Ich verlasse das Hotel. Der Wind peitscht mir den Sand ins Gesicht. Meine Güter ich hab ja in München schon Probleme mit dem Busfahren. Wie soll das erst hier werden. Außerdem habe ich keine Ahnung wo ich eigentlich hin möchte. Busfahren, dass habe ich mittlerweile mit bekommen, funktioniert hier folgendermaßen. Man stellt sich irgendwo an den Straßenrand und warten bis ein Bus vorbei kommt der hält dann und nimmt einen mit. Prima wenn der Bus dann noch dahin fährt wo man hin möchte. Ich beschließe also es zunächst mal mit einem Taxi zu versuchen. Klar, hätte ich mir eins an der Rezeption bestellen können, das wäre aber weit weniger cool gewesen als einfach eins an zu halten. Ich gehe über den Parkplatz in Richtung Straße. Die Suche nach dem Taxi gestaltet sich ziemlich einfach. Nach dem das Taxi mich fast überfahren hat als ich die Straße überqueren wollte, hat der Fahrer einfach zurück gesetzt und mich aufgesammelt. So lerne ich Ali den Taxifahrer kennen. Wir feilschen ein wenig um den Preis und darüber wo ich nun eigentlich hin möchte. Was zu Haus unmöglich erscheint „Ich will irgendwo in die Stadt, falls es denn hier überhaupt eine gibt“, stellt hier kein großes Problem dar. „You want downtown or in the new City?”Downtown hört sich spannend an. Und ich sage: „I´m looking for the suk.”„Yes, ist downtown in the old part of the city.”Sagt Ali. Und ich bestätige mit einem „O.k. Downtown!“Ali fährt los und erzählt mir nebenher was es so über Hurghada zu wissen gibt. Wir fahren vorbei an der Moschee die fast alle Touristen besuchen. Ali bringt mich die Altstadt zu den Basaren. Wobei Basare hier einfach eine Ansammlung von Geschäften meint und nicht etwa so etwas wie ein Markthalle oder einen fest umgrenzten Raum. Ali hatte mich während der Fahrt schon mehrmals gefragt, ob er mich irgendwo wieder abholen solle und als ich mir die Gegend so ansehe halte ich es für eine wirklich gute Idee. Wir verabreden uns in zwei Stunden.

Die Altstadt selbst hat nichts romantisches. Es sieht eher wie ein Arbeiterviertel aus. Aber vielleicht ist der Begriff Altstadt auch relativ. Schließlich ist Hurghada keine historische Stadt, sondern war vor 20 Jahren noch ein kleines Dorf zwischen Meer und Wüste mit einem Militärflughafen. Es gibt hier nur einfache zweckmäßige Betonbauten mit wenigen Fenstern. Schon als ich aussteige merke ich, dass ich auffalle wie ein bunter Hund. Und. Ja, meine Kleidung ist äußerst praktisch bei diesem Wetter, besonders wenn man schon einen Sonnenbrand hat. Allerdings sehe ich Ranger Smith nicht unähnlich. Das verbessert auch der Schlapphut nicht der mit ein bisschen Schatten spendet. Stellt euch einfach vor „Indiana Jones“läuft durch die Stuttgarter Innenstadt. Die Männer sind hier braun gebrannt und tragen Jeans und T-Shirts, die Frauen beneide ich mittlerweile um ihre Burkas. Wenigstens würde ich damit nicht so auffallen. Beim ersten Geschäft mache ich den Fehler mich mit den Leuten zu unterhalten. Das Gespräch dreht sich hauptsächlich darum wo ich denn herkommen und was ich denn nun bei ihnen kaufen könnte. Und während ich mich noch mit Handschlag verabschiede, steht schon der nächste auf der Matte. Ein junger Mann mit goldener Sonnenbrille, nimmt nun seinerseits meine Hand ,erzählt mir, diesmal auf deutsch, er sei in Berlin auf der Hotelfachschule gewesen und bugsiert mich in seinen Laden. Was in aller Welt soll ich in einem Schmuckgeschäft, wo meine Frau doch gar keinen Schmuck trägt. Nein und er will auch nichts verkaufen, nichts liegt ihm ferner. Er will mir nur einen Rat geben:“Geh darüber in diese Richtung. Da überall Mubarak-Mafia!“er neigt den Kopf und flüstert: „Es ist dort nicht sich sicher. Du verstehst. Dort überall Mubarak-Mafia!...und wenn du doch was kaufen willst gehe mit die andere Richtung.“Er zieht mich aus dem kleinen Laden raus und um die Ecke in einen anderen Laden hinein. Diesmal ist es ein Souveniershop. „Nein, ich will bestimmt nichts kaufen.“— „Ok.“sagt er verschwörerisch, “ich habe noch einen dritten Laden in der Neustadt..“Er drückt mir eine Karte in die Hand und ich verspreche mir den Laden wenigsten anzusehen, wenn ich je in die Neustadt kommen sollte. Dann erinnere ich mich, dass ich eigentlich zum fotografieren hier bin. Ich sehe zu, dass ich weiter komme und ignoriere es fortan wenn mich jemand anspricht.

Mit der Kamera in der Hand bin ich hier ein auffälliger Fremdkörper, der teils mißtrauisch, teils interessiert beäugt wird. Die Ägypter sind in dieser Hinsicht viel selbstsicherer als die Inder und so mache viele Bilder einfach und viel aufhebens aus der Hüfte. Schon wieder trifft mich der zerstörte Mythos vom Fotografen, der mit allen Menschen redet bevor er sie fotografiert. Diesen Pathos konnte ich schließlich schon in Indien aufgeben. Die Altstadt ist das Viertel wo die kleinen Menschen leben. Die eigentliche Bevölkerung des Ortes. An den Straßen gibt es kleine Läden in denen man alles für den täglichen Bedarf kaufen kann, kleine Cafés in denen es Tee und Wasserpfeifen gibt und Reparaturwerkstätten für alles Mögliche. Allerdings gibt es hier auch etliche, vor allem teure Geschäfte, wie Juweliere, deren Schaufenster mit Bretter vernagelt sind und augenscheinlich aufgegeben wurden. Vielleicht doch „Mubarak-Mafia“? Ich weiß es nicht. An einer Fahrradwerkstatt bleibe ich stehen. Ein bisschen sieht es hier aus wie in unserem Keller. Im meinem Kopf schallt die Stimme des Ur-Großvater nach: „Des ka´ ma´ noch brauche, des ist noch pfennigguat.“An dem Dachüberhang über dem Mechaniker baumeln kleine Fahrradsattel-Überzüge aus Brokatstoffen im trendigen Kamelsattel-Look. Das ist genau das richtige für meine Frau. Etwas wirklich Authentisches. Vor lauter Begeisterung vergesse ich sogar das Feilschen und lasse einen glücklichen Menschen zurück. Mit dem Feilschen habe ich es ohnehin nicht so. Und kann ich von Glück sagen, dass ich im Tabakladen nicht noch Mindermengenaufschlag für den Shisha-Tabak zahlen musste den mir der Verkäufer aus verschiedenen Packungen zusammenstellen musste, aber mehr als 200g darf ich nicht einführen. Wieder zurück auf der Straße wird es langsam heiß und ich verfluche mich dafür keine Wasserflasche mitgenommen zu haben. Ich schaue mich um. Die Straße ist leer gefegt. Einige Männer sitzen in einem Kaffee und rauchen Wasserpfeife. Ein Stück die Straße herunter sehe ich einen Stand mit Nüssen und Wasserflaschen. Das Feilschen gestaltet diesmal auch relativ einfach. Nach dem ich gefragt habe ob ich auch in Dollar bezahlen kann, kostet alles hier einfach einen Dollar. Es ist die kleinste Einheit für das Papiergeld. Wieder habe ich jemanden glücklich gemacht und ich selbst hab jetzt eine Flasche Wasser und eine Tüte mit köstlichen gerösteten und gesalzenen Nüssen. Die Sonne steht jetzt fast im Zenit und brennt auf die Straße hinunter. Es wird ungemütlich und in den Gassen komme ich mir immer verlorener vor. Ich beschließe zu unserem Treffpunkt zurückzukehren. Die Kleider kleben an meinem Körper. Eigentlich bin ich eine halbe Stunde zu früh dran, aber wie ich durch die Straße schlendere und versuche die Zeit totzuschlagen hält neben mir ein Wagen und Ali grinst mich durch das offene Fenster an. Verschmitzt sagte er, er sei ein wenig zu früh dran, aber es sei gerade nichts los. Dankbar lasse ich mich ins Taxi fallen. Ali dreht die Klimaanlage auf, lacht, „Full Power, only for your“ und bringt mich zurück ins Hotel.


(Originaltext von 2011)

The Beach

Es ist soweit. Ich sitze tatsächlich in der Lobby des Club Calimera. In einem dicken Polstersessel trinke ich Kaffee, schreibe und höre ägyptische Loungemusik. Ich komme mir vor wie in meinen Tagträumen. Man sieht dem Hotel an, dass es schon andere Zeiten gesehen hat. Nicht unbedingt bessere, aber sicherlich andere. Davon zeugen der Metalldetektor durch man sich nach der Eingangstür begeben muss oder auch der, mit Panzerglas gesicherte, Schalter der ägyptischen Nationalbank, der verweist in der Lobby steht. Ich könnte tagelang hier sitzen und das Treiben beobachten. Das Kommen und das Gehen. Die Arbeit der Room-Boys, die jetzt schon zum fünften Mal, innerhalb einer Stunde, über ein und die selbe Stelle gewischt haben. Heute morgen jedoch ist mein Sohn der Ungeduldige. Um 7:30 Uhr soll er zum Tauchen abgeholt werden. Als um 7:50 Uhr immer noch kein Fahrer der Tauchschule durch den Eingang gekommen ist, hat er mich dann soweit. Ich bitte den Portier unseren Reiseleiter anzurufen, ist ja alles all inklusiv. „Wie lange warten Sie denn schon?“, fragt der Portier mit sehr gutem Deutsch und einem verschmitzen Lächeln. „ 20 Minuten“, sage ich. Sein Lächeln wird breiter. Ich grinse zurück. Ich gucke ihn an. Dann überlege ich kurz und sage: „O.k. es ist für ägyptische Verhältnisse noch zu früh um sich Gedanken zu machen. Oder?“„Ja,“sagt er. „Warten Sie noch 10 Minuten, dann will ich sehen was ich für sie tun kann.“Drei Wochen in Indien geben mir die nötige Ruhe und Gelassenheit um zu wissen, dass die Uhren fast überall auf der Welt anders ticken als zu Hause in Deutschland. Schließlich rufen wir zehn Minuten später doch den Reiseleiter an und erfahren, dass der Transfer auf 8:20 Uhr verschoben wurde, man hätte das Hotel informiert. Ich gehe mit dem Portier die Nachrichten des Vortages durch, aber es findet sich keine für uns. Kommunikationsproblem. Aber das ist auch nicht wichtig. Wir gehen noch einen Kaffee trinken bis der Fahrer kommt. Dann bin ich allein.

Ich gehe mich umziehen. Es wird Zeit für mich ein wenig durch die Gegend zu streifen. Das Hotel ist eine Welt für sich, in einer unwirtlichen Umgebung. Mit hochgeschlossenem Hemd, Schal und Hut verlasse ich das Hotel und gehe durch den aufgewirbelten Sand die Straße entlang. Es ist dunstig draußen und ein starker Wind weht. Ein Sandsturm? Nein, sicher nicht. Aber als Vorgeschmack darauf reicht es. Der Dunst macht die Landschaft noch albtraumhafter als sie es ohnehin schon ist. Endzeit auf einem nicht enden wollenden Highway. Man hat es uns bei der Buchung schon gesagt. Wer hierher kommt, kommt zum tauchen oder zum kiten. Dementsprechend spielt sich das Leben dann auch im Hotel bzw. in der Anlage ab. In den hauseigenen Pools, den Restaurants oder natürlich in der Lobby. Zum Tauchen fährt man mit dem Boot hinaus. Kiten geht vom Hotelstrand aus im Flachwasser. Wer schwimmen will geht in den Pool. Das Meer ist hier einfach zu flach dazu. Rund 300m geht es am Hausstrand knietief hinaus bis zur Riffkante, danach wird es dann tief. Das Riff am Hotel ist trotz einiger Fische ziemlich tot. Das Wasser ist klar. Verlässt man die Anlage zu einem Spaziergang, gleich in welcher Richtung, steht man auf einer Baustelle. Baustellen die auf den Mubarak-Clan zurück gehen und nun brach liegen. Zumindest erzählt mir das Ali der Taxifahrer am nächsten Tag: „Die Hotels hier in Hurghada gehören alle Mubaraks Leuten.“Am Stand türmen sich Plastikabfälle. Teils angeschwemmt, teils hingeworfen, teils aber auch von Sandsäcken, die ein abschwemmen des Sandstrandes verhindern sollen. Ich habe an den Zäunen um den Flughafen gesehen, dass sich Folien und Plastikflaschen, vom Wind getrieben, rund einen halben Meter hoch an dem Maschendrahtzaun der den Flughafen begrenzt, türmen. Nach der Menge der Plastikabfälle, die ich auch in Indien zu sehen bekommen habe, bekomme ich es mit der Angst zu tun. Unser Problem wir nicht sein, dass wir kein Öl mehr haben um neue Kunststoffe herzustellen, sondern der Kunststoff der hier in überall in der Landschaft liegt. Dagegen wirkt die improvisierte LKW-Werkstatt am Strand, die garantiert ohne Ölabscheider arbeitet und dafür aber ihre Menschen ernährt, relativ harmlos. Die Sonne brennt, trotz des Windes der hier ständig weht, zur Mittagszeit unerbittlich. Ich bin froh nach dem Essen wieder gemütlich in der Lobby zu sitzen und ein wenig über die Menschen zu sinnieren denen ich hier begegne. Die meisten Europäer sehen aus wie vorgebräunte Dauercamper, süchtig danach ihre Haut zu mumifizieren. Anders kann ich es mir nicht erklären, wenn ich die tief braune Farbe ihrer Haut, mit den vielen Falten, sehe . Ich hatte schon am ersten Tag, trotz des Aufenthalts im Schatten und Sonnenmilch mit Schutzfaktor 50, einen deftigen Sonnenbrand.

Die meisten Frauen sehen in ihrer knappen Bekleidung, die mehr zeigt als verdeckt, eher vulgär aus. Ob sie das wohl wissen? Sicherlich nicht. Irgendwie versucht hier jeder zu beeindrucken. Im Gegensatz dazu stehen die Muslimas. Es logieren hier auch reiche Ägypter mit ihren Familien. Sie sind stets voll bekleidet und bedecken den Kopf. Wobei ich sagen muss, dass die Kopftücher, ohne Zweifel, modische Accessoires sind und nicht mit denen zu vergleichen sind, die meine Oma früher getragen hat. Es gibt hier beispielsweise welche mit einem Sonnenschild oder auch sehr schöne mit Paisleymustern. Auch wirken die Gesichter der Muslimas, viel frischer und unverbrauchter. Am Pool werden dann lange, schwarze, Gankörper-Swimsuits getragen. Die geben dann gerade den jungen Frauen ein wenig die Gestalt von Catwoman. Irgendwie gibt das der Fantasie mehr Nahrung, als allzu knappe Bikinis. Ins Wasser geht man dann folglich auch voll bekleidet. Das straft natürlich das Schild am Pool, wonach man nicht mit Kleidung schwimmen gehen darf, lügen. Aber analog dazu verhalten sich die nicht mulimischen Gäste bei dem Mahlzeiten, wenn sie in knapperer Kleidung erscheinen, als es die Hausordnung zuläßt. Leben und leben lassen ist hier das Motto.(Originaltext von 2011)

Pushkar

Der Kamelmarkt von Pushkar, Indien 2010
Regen. Wir fahren von Udaipur aus Richtung Pushkar. Die Straßen sind nass und die Straßenränder beginnen sich aufzulösen. Aber die Menschen die die uns sehen winken uns unerschütterlich zu. Schließlich bringen wir Regen mit. Langersehnt. Pushkar. Darauf habe ich gewartet. Das Pushkarfest ist ein großer Jahrmarkt. Auch wenn Inder es nicht recht glauben wollte es ähnelt ein wenig dem Ostermarkt bei uns im Dorf. Ein religiöses Fest, an dem man seine Sünden loswerden kann gepaart mit einem Viehmarkt und natürlich mit Ständen an denen man alles kaufen kann, was man das Jahr über in dieser entlegenen Gegend entbehren muss. Die Stadt Pushkar liegt in einer großen sandigen Ebene. Platz genug also für Hunderttausende Pilger, Viehhändler und Touristen. Am Rande der Ebene liegen große Zeltstädte um die vielen Besucher aufzunehmen. Zweireihig gegenüber aufgestellt wirken die Zeltlager wie ein Feldlager der britischen Armee im vorherigen Jahrhundert. Und genau so sind die Zelte auch eingerichtet. Ihre Grundfläche misst ungefähr 3m x 8m mit einem kleinen Vordach in dessen Schatten man sitzen kann. Öffnet man das Zelt so findet sich im Innern ein äußerst bequemes Bett, zwei hölzerne Klappstühle, ein Tisch, ein Regal und im hinteren Teil durch ein Plane abgetrennt, ein komplettes Badezimmer. Als meine Füße den weichen Teppich berühren muss ich unwillkürlich wieder an Lawrence von Arabien denken. Es ist ein Traum genauso wie die Pavillons die die weiß gedeckten Tische, an denen wir essen, vor Regen schützen.

Noch surrealer wird die Szenerie am nächsten Morgen als ich bei Sonnenaufgang das Zelt verlasse. Am Himmel tummeln sich gut ein Dutzend Heißluftballons. Es ist der Morgen an dem wir zu den Ghats gehen. Die Ghats sind Zugänge zum See, an denen man neben dem Waschen auch beten kann oder seine Wünsche in materieller Form in den See abgeben kann. Dafür winken einem dann die Vergebung aller Sünden. Den Spöttern unter euch, die auf Idee gekommen sind, der See müsste ja irgendwann voll Gerümpel sein, sei gesagt, dass er erst vor 2 Jahren grundgereinigt wurde. Wir sitzen also auf den Stufen der Ghats. Ein Brahmane beginnt mit uns zu beten. Von überall her dringen Mantras zu mir. Und obwohl heute morgen nur wenige Pilger zugegen sind spüre ich die Heiligkeit dieses Ortes. Das hier ist pure Energie. Und längst nicht jeder meiner Mitreisenden kann damit Umgehen. Alles wird eins. Der Kreis schließt sich. Wir geben unsere guten Wünsche zusammen mit den Rosenblättern in das Wasser. Auf dass sie in Erfüllung gehen. Dieses Gefühl klingt noch lange in mir nach. Eine kleine Ahnung auf das Nirwana zu bekommen. Ich bin glücklich!

In meinem Glücklichsein lasse ich mich am Nachmittag dazu hinreißen, Inder zu überreden mit einem Teil der Gruppe zu einem der Tempel auf den Kegelbergen, die das Tal flankieren aufzusteigen. Ja, ich wusste, dass Inder ansonsten Gruppen im Himalaya führt. Unsere Zeitvorgabe für den Aufstieg war rund eine Stunde, um pünktlich zum Abendessen wieder im Camp zu sein. Von unten sieht das Ganze nicht so schlimm aus. Eine Treppe führt bis hoch an den Tempel. Und eine ganze Reihe von Menschen sind mit dem Auf- und Abstieg beschäftigt. Es sollte also auch für mich kein großes Problem sein. Als ich schließlich bei den Stufen ankommen stelle ich fest, dass es sich um mehr oder weniger stark behauene Steinstufen handelt, die mit einem normalen europäischen Treppenmaß nichts gemein haben. Die Stufenhöhe beträgt 50 bis 60 cm und man muss ständig nach einem sicheren Tritt Ausschau halten. Ich finde auf diesen Stufen keinen Rhythmus. Immer wieder muss man gucken, dass man einen festen Tritt findet und nicht abrutscht. Außerdem lasse ich es zu schnell angehen. Das rächt sich schließlich auf den letzen 50 Höhenmetern. Mit hochrotem Kopf lasse ich mich auf die Stufe fallen auf der ich gerade stehe. „Lasst mich einfach hier“ sage ich den Nachfolgenden, die mich besorgt an-schauen. „Ich komme nachher einfach wieder mit euch hinunter“. Ich gebe auf. Ich sitze still auf meiner Stufe und schaue über die Ebene. Die Stadt und der See sind winzig klein. Die weißen Häuser leuchten in der Nachmittagssonne. Ich bin zufrieden, auch wenn ich es nicht bis auf den Gipfel geschafft habe. Mein Atem wird ruhiger und siehe da, es geht wieder. Langsam mache ich mich auf um den restlichen Weg zu bewältigen. Dann stehe ich vor dem Tempel. Und wieder habe ich etwas gelernt. Manchmal muss man eben kurz vor dem Ziel aufgeben um es dann doch noch zu erreichen. Der Reiseführer gibt die Höhe des Berges mit 1100m an. Die Ebene von Pushkar liegt auf rund 500m. 600 Höhenmeter in einer Stunde sind eben doch kein Pappenstiel.

Am nächsten Morgen verlassen wir Pushkar. Zumindest versuchen wir es. An einer besonders engen Stelle des Dorfes kommt uns ein Reisebus mit Pilgern entgegen. Beide Fahrer zirkeln ihre Busse hin und her. Als sie die Fahrzeuge soweit haben, dass sie mit einigen Zentimetern Abstand aneinander vorbei fahren können ertönt in beiden Bussen Jubel. Die Pilger als auch wir haben unsere offenen Handflächen zum Gruß an die Scheiben gedrückt. Dort wo die Scheiben offen sind gibt man sich die Hand oder klatscht sich ab. Wir erkennen, dass wir alle tatsächlich den gleichen Planeten bewohnen. Das ist Pushkar.

(Originaltext von 2010)


Bikaner, das Tor zur Wüste

Bikaner, Indien 2010
Die Straßen werden sauberer und die Garagen in denen sich die Läden befinden vertrauen-erweckender. Ich schaffe es sogar, an einem Stand neben einer Tankstelle, mit den Mädels Marsala Chai, den indischen Gewürztee, zu trinken, den der Verkäufer frisch in einem alten Kessel zubereitet hat. Nochmal zur Erinnerung. Alter Kessel bedeutet schwarz verkrustet also in einem Zustand in dem ich zu Hause noch nicht ein-mal heiße Maronen draus essen würde. Aber hier geht das. No Problem. Der Chai ist wunderbar. Ein alter Mann, dürr, mit ledriger Haut, weiß gekleidet und mit einem weißen Turban gesellt sich zu uns. Die Kommunikation läuft schleppend. Auch der Kioskverkäufer spricht zu wenig Englisch um dolmetschen zu können. Schließlich verstehe aber doch, dass der Alte wissen will wo wir herkommen. Und mein „Dscheermannie“ versteht er dann sofort. Er lächelt, bietet mir einen Stuhl an, spricht ein paar unverständliche Worte und geht seiner Wege. Ich hätte ihn fragen sollen, ob ich ihn fotografieren darf. Aber ich bin einfach immer noch zu überrascht. Mein erster Kontakt mit einem Einheimischen. Für mich etwas Besonderes, bin ich doch eigentlich eher introvertiert. Ich komme also langsam in diesem Land an.

Die Landschaft wird immer „wüster“. Das Klima wärmer und trockener und auch der Brandgeruch, der mich seit Delhi verfolgt, ist nicht mehr so aufdringlich. Es liegt hier deutlich weniger Müll herum als in Jaipur und Umgebung. Irritierend sind jedoch die großen Müllhaufen, an den Kreuzungen der kleinen Straßen, die in die Dörfer gehen. Aber auch dafür gibt es eine Erklärung. Müllabfuhr so wir sie kennen gibt es hier nicht. Die Bewohner der Dörfer sammeln ihren Müll und bringen ihn an die Landstraße, wo er dann alle paar Wochen abgeholt wird. Das System scheint in meinen Augen noch nicht ganz ausgereift und ich beginne unsere heimische Müllabfuhr langsam mit anderen Augen zu sehen, aber es ist immerhin ein Anfang. Die Landschaft gleitet an mir vorbei. Ich trinke den letzten Schluck Wasser aus meiner Flasche und knülle sie bis zur Unkenntlichkeit zusammen. Bei mir zu Hause ist das ein absolutes No-Go, wird doch keine so behandelte Flasche in den Pfandautomaten mehr erkannt und man kann sich in langwierigen Verhandlungen mit den Angestellten der Supermärkte wiederfinden, ob die Flasche nun abgenommen wird oder nicht. Hier ist es ein Mittel zum Selbstschutz. Es kommt oft vor, dass Kinder intakte Flaschen mit Leitungswasser auffüllen, den Deckel verkleben und diese dann an Touristen verkaufen. Ich hab, Inder sei dank, wieder was gelernt. Wir kommen in Bikaner, der Stadt am Rande der Wüste, an. Das Hotel ist ein Traum. Es ist dem Stil eines Maharadschapalastes nachempfunden und straft den Eintrag im Reiseführer, wonach man hier eher auf äußeren Glanz Wert legen würde, Lügen. Es gibt eine große Auffahrt mit einem Wächter. Und, man höre und staune, funktionsfähiges Internet. Ich richte mich also ein wenig ein, mache mich frisch und schreibe noch schnell eine E-Mail.Ein wenig abgehetzt komme ich in die Eingangshalle, die man entweder über die steile Treppe oder mit dem verglasten Aufzug betritt. Die Wände sind mit floralen Mustern bemalt. Und zum ersten Mal komme ich mir vor wie in Tausendundeiner Nacht.

Draußen vor dem Hotel warten ein paar Pferdekutschen. Und ein paar Minuten später sitze ich auch schon in einer drin und wir fahren durch die Stadt. Der Abgasgeruch wird wieder stärker. Mittlerweile hab ich aber wohl daran gewöhnt. Es stört mich nicht mehr. Wir stehen im Stau. Und, kaum zu glauben, ich genieße es. Daheim würde ich jetzt fluchen. Hier macht es Spaß. Es ist genug Zeit um sich von der erhöhten Sitzposition in der Kutsche alles in Ruhe anzusehen. Es gibt parkende Autos, parkende Motorräder und parkende Kamele. Das Verkehrsgewühl gleicht einem gordischen Knoten. Mopedfahrer sind deutlich im Vorteil und drängen sich überall durch. Kinder spähen aus den überfüllten Tuc-Tucs und winken. Ich winke zurück. Es ist ein fremdes und zugleich auch ein tolles Gefühl für mich, exotisch zu sein. Trotz des Staus sind die meisten Inder entspannt. Es ist wie es ist. Nämlich alles viel relaxter als bei uns. Irgendwann geht es dann weiter voran. Erst langsam, dann schneller. Mittlerweile dämmert es. Wir erreichen das rote Fort und biegen ab. Entlang den roten Mauern. Wir stoppen um in Ruhe einen Blick auf das Fort zu werfen. In diesem Moment entbrennt vor mir eine wilde Beißerei zwischen drei Hunden. Ich beginne zu begreifen, warum Martin Mosebach die Erzählung seines Aufenthaltes in Bikaner „Stadt der wilden Hunde“ genannt hat. Mir wird auch klar, dass U. recht hatte als sie mir sagte: “Natürlich bin ich gegen Tollwut geimpft. Du hast keine Chance mehr, wenn ein Hund einfach auf dich zu rennt und dich beißt!“ Ich wollte es anfangs nicht recht glauben. Verschiedene Ärzte hatten mir zu Hause von einer Tollwutimpfung abgeraten, weil sie so schlecht verträglich sei. „Wenn sie nicht beruflich mit Tieren zu tun haben brauchen sie die nicht unbedingt.“ Klar, hab ich gedacht, ich bin ja nicht der Typ der jeden herumstreunenden Hund streicheln muss. Und, natürlich hab ich auch einen Hund und ich weiß Körpersprache zu deuten. Hier an der roten Mauer werde ich eines Besseren belehrt. Man braucht nicht viel Eigeninitiative zu zeigen, um zufällig in so eine Beißerei hinein zu geraten. Indien ist weltweit das Land mit den meisten Tollwuterkrankungen. Die Krankheit wird durch streunende Hunde und Vampir-Fledermäuse übertragen. Ich beschließe mich vor der nächsten Indienreise impfen zu lassen.

Es ist inzwischen dunkel geworden. Die Temperaturen sind angenehm. Ich sitze im T-Shirt auf der Dachterrasse des Hotels und warte auf mein Essen. Das Hotel ist das höchste Gebäude in der Umgebung und so kann ich über die Flachdächer der schwach beleuchteten Stadt blicken. Hier und da geht ein Feuerwerk hoch. Mir kommt in den Sinn, dass es bis zur pakistanischen Grenze nur rund 150 Km sind. Die Militärpräsenz in der Umgebung von Bikaner lässt das kaum vergessen. Ich schaue in die Runde. „So könnte es am Vorabend eines Krieges aussehen,“ sage ich, „ die Journalisten warten auf der Hotelterrasse auf den Einschlag der ersten Rakete.“ Die anderen schauen mich in der Erwartung einer Pointe oder eines derben, geschmacklosen Witzes an. Ich schaue schweigend zurück. Dann nicken sie nachdenklich. Vor dem Hotel hört man das Stakkato von Knallfröschen.

(Originaltext von 2010)

Vorhölle Jaipur

Im Stadverker in Jaipur, Indien 2010
Halsschmerzen. Brennende Halsschmerzen. Ich hab das Gefühl, dass ich nichts mehr sagen kann. Sprachlos. Das Telefon klingelt. Ich hebe den Hörer ab und nuschle so etwas wie O.k. hinein. Es war der Wake-Up Call, der mich nun endgültig geweckt hat. Seit der Muezzin um 4:30 Uhr gerufen hat und die Hunde draußen anfingen dazu zu heulen, habe ich nur noch sporadisch geschlafen. Aus dem Bad dringt Licht. Es kommt aus dem Nachbarzimmer, dass mit meinem über einen Lüftungsschacht verbunden ist. Ich hör Stimmen, Wasserlassen und schließlich die Toilettenspülung. Ich mache das Licht an und schaue auf die kahlen Wände und den Deckenventilator. Auf dem metallenen Kasten der Klimaanlage setzt das scharren von Taubenfüssen ein die unablässig einher schreiten. Ich versuche aus dem Traum aufzuwachen. Leonardo Dicaprio würde etwas von Inception erzählen, Edgar Allen Poe etwas von einem Traum in einem Traum. Ich wache aber nicht auf. Das alles hier, der Raum mit dem kleinen Fenster, dem dicken dunklen Vorhang, davor die Klimaanlage, die mit offenen Drähten an die Steckdose angeschlossen ist, das alles ist Realität. Das Brennen im Hals wird stärker. Ich wühle in meiner Tasche und entdecke noch einen Blister mit Paracetamol. Ich drücke eine der zwei verbliebenen Tabletten her-aus und spüle sie mit etwas Wasser herunter. Bis zum Frühstück ist noch Zeit. Ich lasse die Tablette ihre Wirkung entfalten und denke über den gestrigen Tag nach. War es wirklich eine gute Idee die Reise zu machen? Musste ich mir das geben?

Aber der Reihe nach: Als wir hier in Jaipur ankommen passiert wieder et-was, was so typisch ist für dieses Land. Wir fahren mit dem Bus durch ein Viertel, dass man vielleicht zu Hause als Industriegebiet oder heruntergekommenes Wohngebiet bezeichnen würde. Jedenfalls nicht gerade als ein Viertel in dem man gerne wohnen würde. „Da vorne ist unser Hotel!“ Ich kann es nicht glauben, dass wir hier wohnen sollen. Ich steige aus und wate ein paar Meter über den san-digen Boden durch eine Mauernische hin-durch. Wie durch Zauberhand stehe ich nun auf einem gepflegten Rasen im Innenhof eines Haveli, so nennt man die alten Kaufmannshäuser. Livrierte Hoteldiener servieren einen Welcome-Drink und heiße Tücher. Die Schlüssel werden verteilt und ich finde mein Zimmer direkt oberhalb eines kleinen Pools. Das Zimmer selbst ist dunkel. Fenster scheinen in Indien nicht im Trend zu liegen. Ich mache das Licht an. Die Betten sind bequem und das Zimmer ist sauber. Ich schlafe ein paar Stunden. Als ich aufwache ist es bereits dunkel. Zeit für das Abendessen. Wir essen alle zusammen im Restaurant des Hotels. Ich erkundige mich nebenbei, ob es hier irgendwo ein Internetcafe gibt, damit ich ein Lebenszeichen von mir nach Hause schicken kann. „Wir haben heute Mittag eins gesehen, irgendwo die Straße hoch in Richtung der roten Stadt.“ Ich ärgere mich ein wenig, dass ich den Nachmittag verschlafen habe statt bei Tageslicht hinaus zu gehen. Aber das ist jetzt nicht zu ändern. Mein Hals fängt langsam an weh zu tun. Die Klimaanlagen der Flughäfen und die nicht auskurierte Erkältung verrichten ihr Werk.

Ich gehe hinaus. Ich traue mich. Überall auf der Welt kommunizieren die Menschen via Internet in Internetcafés. Es kann also nicht so schwer sein hier eines aufzutreiben. Ich stehe auf der Straße und versuche mich zu orientieren. Jenseits der Straßenlampe unter der ich stehe breitet sich Dunkelheit aus. Ich suche mir eine Richtung aus uns laufe los. Licht gibt es nur von den Autos die hupend vorbeifahren. Und von den Geschäften auf der anderen Straßenseite, also von den nun beleuchteten Garagen (ich erwähnte ja schon den für Europäer etwas seltsam pragmatischen Baustil), die gefüllt sind mit allen möglichen Dingen die man kaufen kann. Aber das sehe im Moment nicht. Um mich herum wuseln dunkle Menschen deren Konturen ich kaum ausmachen kann. Ab und zu blitzt das Weiß der Augen oder der Zähne hervor. Ich sehe nicht auf was ich am Boden so alles trete. Und seit Indianer Jones im Tempel des Todes war, hab ich natürlich so eine Ahnung was das alles sein könnte. Unbeleuchtete Rikschafahrer, Motorradfahrer und Tuc-Tucs weichen mir aus, ich weich ihnen aus. Hinein in eine Menge von Menschen. Panik macht sich bei mir breit. Ich drehe um und versuche zum Hotel zurück zukehren. So schlimm kann es nicht sein. Ich bin ja immer geradeaus gegangen. Ich brauche nur zurück zu gehen. Wieder ausweichen vor Dingen die ich nur schemenhaft erkennen kann. Und über allem liegt dieser eigenartige Geruch. Ich glaube der macht mich am meisten fertig. Eine Mischung aus Autoabgasen, verbranntem Holz und Plastik. Und? Und Räucherstäbchen! Das ist der Moment in dem mir das Wort Vorhölle durch den Kopf schießt. Die Vorhölle so sieht sie aus. Alles um einen herum ist fremd und sieht anders aus. Man spricht die Sprache nicht. Man versteht keinen. Man wird nicht verstanden. Und vor allem findet man das Hotel nicht mehr. Verdammt so weit bin ich doch gar nicht gelaufen. Es muss hier irgendwo sein. Irgendwo zwischen den Mauernischen. Es kann gar nicht weg sein. Auf gerader Strecke kann man sich nicht verlaufen. Ich sehe den Bus. Den guten Tata-Bus mit den Blattfedern und den Sitzlehnen die auf den holprigen Straßen immer nach hinten klappen. Und da ist auch die Mauernische. Der Eintritt ins Paradies.

Ich beschließe es heute Abend bei einer SMS zu belassen. Handys funktionieren hier problemlos. Ich muss nicht nachts irgendwo herumlaufen. Ich gehe auf mein Zimmer und schreibe die SMS, die sehr nach Heimweh klingt und versuche zu schlafen. Verdammtes Halsweh. Beim Frühstück ist die Welt dann wieder fast in Ordnung. Das Schmerzmittel tut seine Wirkung und ich bekomme den Tip keine kalten Getränke mehr zu trinken. Viel später, fast am Ende der Reise bekomme ich dann auch noch die Einsicht, dass ich als fast zwei Meter großer Weißer, der sich grimmig an seiner Kamera festhaltend, seinen Weg durch das Chaos bahnt, ein ebenso beunruhigendes Bild für die Inder abgegeben haben muss, die schließlich nur ihrem normalen Tagwerk nachgingen. Ich muss lachen.

(Originaltext von 2010)